Donnerstag, 27. Februar 2014

SSW 20: Aufatmen! - oder "Der Tag, der ohne Übelkeit begann"

Ab einem gewissen Zeitpunkt meiner Schwangerschaft konnte ich alle, vermutlich gut gemeinten, Ratschläge nicht mehr ertragen. Wenn einem 24 Stunden am Tag schlecht ist interessiert es einen wirklich nicht, wie lange es bei Nachbarin xy gedauert hat und in welcher Intensität Arbeitskollegin xy die Übelkeit erlebt hat. Noch viel schlimmer sind Erzählungen wie: 
"Übelkeit? Mir ging es immer blendend! Total super, die ganze Schwangerschaft lang!" - meistens gefolgt von einer Erzählung über die traumatische Geburt. Keine Ahnung warum, aber offenbar hat sich über die Jahre die Mär entwickelt, dass Frauen mit tollen beschwerdefreien Schwangerschaften eine furchtbare Geburt haben müssen. Ganz ähnlich den Klischees: Spitzbauch = Bub, Sodbrennen = viele Haare, im Bauch lebhaft = ADS-Kind.
Wie auch immer erleichterte mir keine der Aussagen mein Unglück. Im Gegenteil, ich wurde dadurch nur aggressiv um anschließend in Selbstmitleid zu versinken.
Denn, Situation der nicht enden wollenden Übelkeit ist im wahrsten Sinn des Wortes einfach zum Kotzen. Niemand kann einem helfen, man kann nur hoffen, dass es besser wird.

Ich für meinen Teil hatte mit Ende des 3. Monats meine Hoffnung aufgegeben. Von allen Seiten tönte es:
„Ach, dir geht es immer noch schlecht? Oje, das ist aber ungewöhnlich….“
In meiner Fantasie habe ich nicht nur einmal "Lara Croft Kampfszenen" mit besagten KommentatorInnen nachgespielt. Das ein oder andere Mal war ich auch einfach nur Rocky in der letzten Kampfrunde gegen Drago in Rocky IV.
Sogar mein Allgemeinarzt, der mich immerhin zweimal eine ganze Woche aufgrund der Übelkeit und der Kopfschmerzen krank schreiben musste, schüttelte den Kopf und meinte nur ganz lapidar: 
„Sie haben ja echt den Jackpot der Schwangerschaftshormone ausgefasst. Wenn das Kind dann auf der Welt ist, ist das alles vergessen.“
Ehrlich? Ich vergesse das nicht. Punkt.

Mittlerweile war ich Schwangerschaftswoche 20 angekommen und hatte jegliche Hoffnung auf ein normales Leben ohne Würgegefühle, flauem Magen und Spontanerbrechen nach Autofahrten die länger als 10 Minuten dauerten aufgegeben. Man könnte sagen ich hatte mich abgefunden. Eine Schwangerschaft muss ja mal ein Ende haben, so wie jedes Flugzeug irgendwann und irgendwie wieder auf den Boden kommen muss.

Genau dann passierte es. Oder vielleicht genau deswegen, eben weil ich nicht mehr daran dachte und mich damit abgefunden hatte.
Ich wurde morgens wach und bemerkte, dass etwas anders war. Genau konnte ich es nicht beschreiben, es fühlte sich so eigenartig an, denn ich fühlte: nichts. Das dringende Bedürfnis, möglichst rasch das richtige Nahrungsmittel in meinen Mund hineinzuschieben bevor ich schon über dem Klo hing: es war weg!
Ich drehte mich zu meinem Mann um, rüttelte ihn unsanft wach und flüsterte:
„Es ist weg!!!“
Der kannte sich naturgemäß gar nicht aus und meinte nur:
„Hä?“
„Es ist weg! Mir ist nicht schlecht! Aber ich will es nicht zu laut sagen, sonst kommt es zum Schluss zurück….“
Das folgende Frühstück glich für mich einem Morgen im Schlaraffenland. Nicht, weil ich so viel Unterschiedliches zu mir nahm, sondern weil ich ganz normal am Tisch sitzen konnte, mir ein Müsli machte und nicht darüber nachdenken musste, ob mir nach dem 1. Bissen wieder übel wurde oder nicht, und vor allem, wann ich das nächste Mal eine Kleinigkeit essen müsste, um unvorhergesehenen Kotzaattacken zu entgehen. Ich war ausgeglichen, zufrieden und glücklich. Man weiß ja alltägliche "Situationen" erst zu schätzen, wenn man sie über einen längeren Zeitraum verloren hatte. Ich saß also am Tisch, grinste verträumt und erholt in mich hinein und erfreute mich ob des tollen Tagesbeginns.
Für alle die denken, das war’s dann also mit der Übelkeit: Es wäre nicht mein Leben, wenn die Regel, nämlich dass die Übelkeit quasi über Nacht komplett verschwindet, bei mir zutreffen würde. Nein, natürlich nicht, den einfachen Weg, den wollen wir nicht.
Das Problem der Übelkeit schlich sich bei mir aus. Zunächst waren meine Morgen befreit, nach und nach erweiterte sich der zeitliche Rahmen auf nach dem Mittagessen, schließlich war der Nachmittag erholsam und irgendwann, es muss in etwa die 23. Schwangerschaftswoche gewesen sein, war sie komplett weg.
Die Kopfschmerzen hielten im Übrigen noch bis zum Ende der 26. SSW aus. Schließlich verabschiedeten aber auch sie sich.
Momentan habe ich eine Kollegin, die in der 25. Woche schwanger ist, und es geht ihr wirklich schlecht. Aus meiner Misere habe ich gelernt, dass es am besten ist, nichts zu sagen. Kürzlich meinte ich zu ihr:
„Ich würde dir ja gerne irgendwas Sinnvolles erzählen, von wegen es wird besser und so. Aber da ich weiß, wie verhasst mir das war, sag ich einfach gar nix. Außer: schöner Scheiß.“

Sie nickte dankbar.

PS: an alle Frauen denen es wunderbar ging und geht in der Schwangerschaft: ich will euch ja wirklich nicht diskriminieren oder anfeinden. Irgendwann wird es eine Zeit geben, in der ich euch das gönne, dass ihr keinerlei Beschwerden hattet. Aber bitte: bindet das niemals einer Schwangeren auf die Nase, die gerade durch die Hölle geht! Das geht einfach gar nicht! Besser nichts sagen. Schwangere Frauen sind unberechenbar. Ich weiß das, ich bin eine. Und man kann nicht dafür garantieren, dass nicht vielleicht mal eine gut gemeinte Geschichte mit einer saftigen Ohrfeige beantwortet wird. 

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