Montag, 10. Februar 2014

Die Diktatur der Werbeindustrie: schlank sein, schlank bleiben, auch in der Schwangerschaft!

Irgendwie war ich ja erleichtert. Zumindest die arbeitsrechtliche Geschichte war erfolgreich zu Ende gegangen und auch die Verdrängungsmechanismen schienen weniger zu werden. Zumindest konnte ich mittlerweile wieder über meinen Zustand sprechen. Was allerdings sicherlich auch mit gewisser Resignation zu tun hatte. 
Eine Menge Menschen sehen in einem sobald man schwanger ist nur noch die Schwangere. Dementsprechend eingeschränkt ist der Themenbereich der Gespräche. Selbst ein Sturschädel wie ich schafft es nicht, auf Dauer in Gesprächen von diesem einen großen Thema abzulenken und mühsam den Gesprächsverlauf in eine andere Ecke zu lenken. Das ist einfach furchtbar anstrengend, und wenn man ohnehin schon den ganzen Tag mit Übelkeit, Kopfschmerzen und diversen anderen Mühseligkeiten zu kämpfen hat vermeidet man mit der Zeit jegliche weitere Anstrengungen. Meine Strategie war also, ganz nach dem Rat meiner Mutter: lächeln, nicken und versuchen, auf diverse kontrovers zu diskutierende Themen nicht eingehen.
Wenn das so einfach wäre. Zumindest hatte ich nach 17 Wochen Schwangerschaft gelernt, an guten Tagen oh-Töne von wegen „na wenn das Kind erstmal da ist, wird dein Mann kaum mehr zu Hause sein…“ oder „sobald das Kind da ist, wirst du es gar nicht mehr deinem Mann anvertrauen wollen, da ist man zu sehr Mutter…“ zu ignorieren. 
Alles im übrigen Aussagen, die genauso getätigt wurden. Von erschreckenderweise Menschen in meinem Alter (+/- 8 Jahre. Wenn man mal die 30er Grenze überschritten hat, wird man ja tolerant gegenüber Altersunterschieden).
Witzigerweise hatte in der Zwischenzeit mein Mann begonnen, auf solche Aussagen vehement und fast schon aggressiv zu reagieren. Wer ihn kennt weiß: er ist eher der ruhige Typ, kann unqualifizierte Aussagen einfach überhören (was sich in diversen Streitsituationen auch für mich bereits als Vorteil erwiesen hat) und nichts bringt ihn so schnell aus der Ruhe. 
Was war ich überrascht, als er einer Verwandten mit den Worten „Kannst du mal aufhören, ständig so einen Scheiß zu verbreiten?“ über den Mund fuhr. Überrascht und stolz. So kannte ich ihn nicht, und es war eine ungemeine Erleichterung für mich zu sehen, dass ihn stereotype Aussagen genauso aufregten wie mich. Schön.
Wenn es um gutgemeinte Ratschläge und Tipps rund ums schwanger sein und die Zeit danach geht halte ich mich ja gerne an meine Oma. 
Warum? 
Erstens hat sie nie ungefragt Ratschläge erteilt. Solche Menschen hab ich in den letzten Monaten einfach enorm zu schätzen gelernt. Und sollte man doch mal nachfragen, dann kommt die schonungslose Wahrheit, gepaart mit einem: 
„Kind, im Endeffekt müssen dein Mann und du selbst herausfinden, wie es für euch am besten ist. Ihr lebt in einer Zeit, in der alles möglich ist. Bei mir uns war das damals noch nicht so.“

Besonders gefährliches Terrain für von Schwangerschaftsbeschwerden geplagte Frauen ist im übrigen das Gewicht. Ich weiß ja nicht genau warum, aber auch das hatte ich erfolgreich verdrängt. Mit das meine ich die unvermeidliche und notwendige Gewichtszunahme. 
In einer Gesellschaft in der sich alles nur noch ums „abnehmen“ und „wie kann ich fünf Kilo in fünf Tagen verlieren“ dreht, verdrängt man sowas ja schnell mal.
Eines Abends saß ich also da, sinnierte so vor mich hin, surfte wahllos durch Internet, als mir plötzlich ohne besonderen Grund einschoss: ich bin schwanger, ich werde zunehmen und einen Bauch bekommen! 
Als wäre das die Neuigkeit des Jahrtausends gewesen. 
Aber: ich traute meiner Intuition nicht. Ja, ich weiß, vielleicht denkt ihr jetzt „oh Mann, wie dämlich ist die denn“? 
Was soll ich zu meiner Verteidigung schon großartiges sagen? 
In Panik rief ich meine Mutter an um mir diesen Umstand bestätigen zu lassen. Das lief in etwa so ab.
„Mum, ich werde fett werden, richtig?“ gefolgt von schluchzen, heulen und schniefen.
„Kind, natürlich wirst du zunehmen und einen Bauch bekommen. Aber wenn du nicht gerade wie ein Mähdrescher reinfrisst, wirst du nicht fett werden. Und selbst wenn, dann nimmst du das Gewicht nachher halt wieder ab? Was war ich damals froh, dass ich endlich ohne schlechtes Gewissen essen durfte was ich wollte?“ – Dann lachte sie auf.
Und ich schluchzte noch lauter.
„Aber Mum, ich will nicht fett werden! Fett und hässlich! Unansehnlich! Alle werden mich ansehen und auslachen!“ – ich nehme an, dass ich dann noch eine Weile in Selbstmitleid zerfloss, unterbrochen von schluchzenden und schniefenden Geräuschen.
Irgendwann reichte es meiner Mutter und sie sagte laut und streng ins Telefon:
„Jetzt reiß dich mal zusammen! Seit Millionen von Jahren werden Frauen schwanger, nehmen zu und wieder ab, und das ist das natürlichste der Welt. Und wenn jemand zu dir sagt du seist fett dann ist er sowieso ein Vollidiot. Du wirst sehen, wenn du das Baby einmal spürst, wirst du auch deinen Bauch mögen. Und das aller genialste wird dann das Gefühl nach der Geburt sein: da denkst du, du bist plötzlich leicht wie eine Feder! Dann hast du den kleinen Scheißer auf dem Arm und ein paar Kilo mehr sind auch wurscht, abgesehen davon das in unserer Familie alle nach der Geburt wieder schlank und rank waren wie eh und je. Und jetzt lass dir ein Bad ein, entspann dich und hör auf dich da so rein zu steigern.“
Bumm, das hatte gesessen.

Wochen später bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Mama und Oma sowie großem Bauch erwähnte ich mal, dass ich mich wie ein Wal fühlen würde. Meine Oma lachte laut auf und meinte nur:
„Wart mal noch 6 Wochen, dann fühlst du dich wie ein Seeelefant und dein Mann muss dir die Socken anziehen.“
Zu diesem Zeitpunkt fand ich das schon wieder witzig.

Vor kurzem fiel mir ein Artikel in die Hände, in dem es um den Trend von schwangeren Frauen ging, so wenig Kilos wie möglich zuzunehmen und die daraus resultierende Entwicklung von Essstörungen in der Schwangerschaft. Ich muss ja ehrlich zugeben, dass mich das nicht mal wundert.
Die Gesellschaft und die lieben Männer (so sehr ich eure Rechte und Anliegen verstehen kann und euch immer gerne verteidige, aber in dem Punkt müssen einige noch viel lernen) machen einem den natürlichen Umstand der Schwangerschaft wirklich oft zur Qual.
Ich erinnere mich an ein Klassentreffen, bei welchem ein ehemaliger Mitschüler mir erzählte:
„Sei froh, dass dir so schlecht ist und du nix essen kannst. Meine Frau hat 25kg zugenommen in der Schwangerschaft, dass muss sie jetzt erstmal wieder loswerden.“
Aussagen wie diese finde ich schrecklich. Na und? Dann hat sie eben einen kleinen Polster angelegt während der anstrengenden Zeit des schwanger seins. In vielen Fällen war die Frau vor der Schwangerschaft sowieso sehr schlank und idealgewichtig, da muss und darf das sein, dass man etliches zunimmt. Und wer sind wir, dass wir uns nur noch über Kilogrenzen und Body-Mass-Index definieren?

Eine meiner Lieblingsgeschichten was Frauenkörper und Schwangerschaft betrifft ist die eines Bekannten, der auf einem Männerabend lapidar das Folgende von sich gab:
„Ich bin ja eigentlich froh, dass meine Frau kleine Titten hat. Denn wenn sie große hätte, und dann werden die in Schwangerschaft noch größer, was glaubst wie hässlich die dann hängen. Dann lieber von vorn herein kleine.“
Ja, mein Mann erzählt mir alles.
Ich war gelinde gesagt leicht geschockt von der Oberflächlichkeit mancher Männer. Gibt übrigens auch Frauen die solche Dinge von sich geben. Vermutlich ist das Neid. Ich weiß es nicht. Aber wenn wir schon so oberflächlich sind: auch kleine Brüste können hängen. 
Und wenn das größte Problem eines Mannes oder einer Frau der Zustand der Brüste ist, dann sollten die sich sowieso mal eine Therapie oder etwas dergleichen überlegen. Da stimmen dann sicher etliche andere Sachen auch nicht.

Millionen von Euro werden in die Schönheitsindustrie geblasen, damit Frauen sich „schöner“ machen: Brustvergrößerungen, Bruststraffungen, Fett absaugen. Bloß nicht menschlich sein, immer einem Ideal hinterherhecheln, nur nicht altern und vor allem: nicht zulassen, dass irgendetwas hängt.
Liebe Männer, glaubt ihr, dass eure Geschlechtsteile mit dem Alter nicht zu hängen beginnen und ekelhaft aussehen?
Liebe Frauen, glaubt ihr, dass ein straffer Busen aus euch tatsächlich einen besseren und erfolgreicheren Menschen macht?
Ich will jetzt gar nicht verschweigen, dass auch ich diesem Trugschluss schon des Öfteren erlag. In der heutigen Zeit schwanger sein, hilflos zusehen müssen wie die Kilos auf der Waage plötzlich in Bereiche wandern, von denen man nur aus Filmen weiß, ist hart und erfordert ganz schön viel Selbstvertrauen.
Das Internet ist voll mit „Gewichtsrechnern für die Schwangerschaft“ und erschreckender Weise scheinen auch etliche FrauenärztInnen bereits auf diesen Zug aufgesprungen zu sein.
Da lobe ich mir die meinige, die geduldig da sitzt, mich ansieht und sagt:
„Sollten Sie tatsächlich gesundheitsgefährdend viel zunehmen, dann schrei ich schon, keine Sorge. Aber so lange ich das nicht tue, konzentrieren Sie sich auf Entspannung und auf das Baby, und vergessen Sie die Anzeige auf der Waage.“
Das verhindert zwar nicht die Angst vor zu viel Gewicht, aber beruhigt.

Aja, und noch was: ein Mann, der in einem in der Schwangerschaft sagt „man solle bloß nicht zu viel essen und zunehmen“, den setzt man am besten vor die Tür. Solche Idiotien hat man dann doch wirklich nicht nötig.

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