Dienstag, 7. Juli 2015

Offener Brief zur Betreuungsituation in Österreich


Liebe Fr. Karmasin,

 
gleich vorweg möchte ich sagen, dass ich Ihre Bemühungen und Ihre Arbeit prinzipiell nicht schlecht finde. Frischer Wind hat im Familienministerium gefehlt, den bringen Sie hinein.


Leider habe ich oftmals das Gefühl, dass Sie und Ihr Projektteam etwas an der Realität von Otto-Normal-Verbraucher/in vorbei agieren. Viele Problemlagen und Herausforderungen, mit denen sich „neue“ Eltern herumschlagen müssen, finden in Ihren Programmen keine Erwähnung. Vielleicht, weil niemand von Ihnen und Ihren Mitarbeiter/innen betroffen ist/war, vielleicht weil es Ihnen einfach nicht  bewusst ist.


Wir sind eine kleine Familie. Unser Sohn ist 13 Monate alt, ich war acht Wochen im Mutterschutz, die Karenz teilen sich mein Mann und ich: er nahm zehn Monate, ich zwei. Wir haben uns für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld entschieden – über die Probleme die wir damit hatten und haben will ich gar nicht erst anfangen. Das war eigentlich die erste „Watschn“. Nicht nur, das mein Anteil gleich mal falsch berechnet wurde, ich durfte mich dann auch noch schief anschauen lassen, weil ich nur zwei Monate Karenz konsumierte und mein Mann den größeren Teil. Österreich eben.

Wie Sie also unschwer erkennen können, bin ich berufstätig (mit 30 Stunden/Woche), mein Mann steigt nach der Karenz ebenso wieder mit 30 Stunden pro Woche ein. Wir teilen uns alles: die Kindererziehung, den Haushalt. Diskussionen wer die Wäsche wäscht und den Geschirrspüler ausräumt gibt es nicht. Es ist selbstverständlich, dass wir gleichwertige Partner/innen sind. Quasi das von den Medien und Ihnen propagierte „Ideal“, nachdem es ja mittlerweile zahlreiche Studien gibt die belegen, dass selbst in Akademiker/innen-Haushalten die Frauen nach der Geburt des Kindes unvermittelt ihre Gleichberechtigung aufgeben und plötzlich ganz Hausfrau sind. Nicht so bei uns. Gleichberechtigung Hurra.

Unser Sohn wurde mit Juni, als er 1 Jahr alt war, in die Kindergruppe eingewöhnt. Ohne Probleme wohlgemerkt, er liebt es dort und ist MO bis FR bis 13 Uhr dort gut aufgehoben. Gott sei Dank, denn eine Auswahl an Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Kinder unter 3 Jahren gibt es bei uns im Bezirk Melk bzw. St. Pölten Land so gut wie nicht. Man muss nehmen was man kriegt. Das war eigentlich die zweite „Watschn“. Über Betreuungsschlüssel bzw. Empfehlungen von Expert/innen dahingehend schaut man ja dann gleich mal hinweg, denn wenn wir darauf Wert gelegt hätten, wäre es das auch schon wieder gewesen mit Kinderbetreuung.

 

Als uns schließlich vorgerechnet wurde, wie viel wir für die Betreuung zahlen müssen, wurde uns schwindelig. Wir haben zwar beide ein oder mehrere Studien abgeschlossen, das garantiert in der heutigen Zeit jedoch noch lange kein 1a Gehalt. Das war also dann  „Watschn“ Nr. 3 dafür, dass wir beide, und ich als Mutter im Speziellen, gerne arbeiten gehen: €285,- pro Monat, unflexibel gestaltet, wir zahlen in Wahrheit 5 Stunden zu viel, anders geht es aber nicht, da die Kindergruppe „nun mal nur Pauschalen ab 7 Uhr anbietet“.

„Watschn“ Nr. 4 kam dann heute morgen, nachdem uns klar gemacht wurde, dass die Pauschale von € 285,- für unseren Sohn nicht mehr zutrifft, da er ja teilweise länger schläft (15-30 Minuten, also bis 1315-1330Uhr) und damit die nächst höhere Pauschale von €325,- fällig wird. Das wir die Betreuung ja eigentlich erst ab 8 Uhr brauchen, ist allen egal, denn wie gesagt: es gibt nur Pauschalen ab 7 Uhr.

Dass Sie diesbezüglich nicht zur Rechenschaft gezogen werden können und sollen, ist uns klar. Jedoch ist das Fass nun zum Überlaufen voll, und daher dieser „Bericht“, diese Stellungnahme an Sie.

Es wird propagiert, die Väter sollen doch in Karenz gehen, Frauen wieder zurück in den Job, die Flexibilität lebe hoch, alle die dies so umsetzen, sind Vorbilder und sollten Werbung dafür machen.

Ganz ehrlich? Wir warten verzweifelt auf den „Schulterklopfer“, auf die Belohnung, die Bestätigung dass wir „toll“ sind und es richtig machen. Denn bisher wurden wir Länge mal Breite nur bestraft.

Förderungen für die Kinderbetreuung sind nur für Menschen mit wenig Einkommen und vielen Kindern vorgesehen. Die maximale Höhe an Einkommen liegt in NÖ bei €2400,- NETTO zu ZWEIT für 1 Kind. Bei aller Liebe, das hat man schnell, und wenn man es nicht schnell hat, braucht man auch keine Kinderbetreuung weil dann die Mama sowieso daheim bleibt.

Setzt man sein Kind einer Gefährdung aus bzw. sieht das Jugendamt es für notwendig an, dass die Kinder auch mal aus der Familie in eine Betreuung kommen, dann wird dies selbstverständlich vom Staat gezahlt.
Das wir unser Kind gut versorgen, nicht misshandeln und das Beste für ihn wollen, das wird in Österreich nicht belohnt. Wir dürfen den vollen Preis bezahlen. Denn, ja, wenn wir das nicht wollen, dann „bleib eben beim Kind“.

Da sind wir dann auch schon beim nächsten Punkt, den man viel zu oft hört: wenn du unzufrieden bist, dann bleib eben daheim: Ein Kind gehört ohnehin zu seiner Mutter.

Das sich Frauen, die nach kurzer Babypause wieder in den Beruf zurück wollen, ein dickes Fell wachsen lassen müssen, davon redet in der Politik auch keiner. Die Anfeindungen, die unterschwelligen Angriffe und die Vorwürfe, die man sich von 75% der Gesellschaft anhören muss, dazu nimmt keiner Stellung. Wie belastend das ist und sein kann, davon will auch keiner etwas wissen.

Schulterklopfer gibt es maximal für die paar Väter, die 2 Monate zu Hause bleiben, schiefe Blicke und Kopf schütteln hagelt es in den meisten Fällen für die Mütter. Ich weiß wovon ich rede, wir „leben diesen Traum“.

 

Was genau ich nun will, liebe Frau Karmasin?

Wir mögen Sie. Wir finden Ihre Ansätze gut.

Aber wie wäre es mit etwas mehr „bottom-up“ anstatt „top-down“? Stellen Sie sich doch ein Team aus Menschen zusammen, die die Probleme, von denen wir hier sprechen, kennen und damit „lebensnahe und authentische“ Projekte in Angriff nehmen können.

Außerdem hätten wir gerne ein bisschen Anerkennung. Dafür, dass wir trotz der unzähligen Steine, die uns in den Weg gelegt werden, auf unserem Weg beharren und uns nicht abbringen lassen. Dafür, dass wir in Wahrheit fast schon in die Falle „working-poor“ tappen, u.a. damit die Gleichberechtigung in der Partnerschaft erhalten bleibt und auch der Papa zu seinem Recht kommt: nämlich Zeit mit seinem Sohn zu verbringen.

Gestalten Sie doch eine Kampagne mal so, wie es ist: Väter sollen nicht in Karenz gehen weil es „schick“ ist oder für „Gleichberechtigung“ sorgt. Nein, sie sollen ohne Probleme in Karenz gehen können, weil es IHR RECHT IST als Vater, und es das Recht der Mutter ist, wieder in einen Beruf einsteigen zu können.


Liebe Fr. Karmasin, ich bin auf Ihre Reaktion gespannt, und habe tatsächlich die kleine Hoffnung, dass dieser offene Brief nicht in der Versenkung verschwindet.

 

Mit den besten Grüßen

 

 

 

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