Freitag, 3. Juli 2015

Die schlechte Mutter

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit dem wir das spannende Abenteuer "Elternschaft" begonnen haben. Unzählige Dinge sind passiert: lustige, traurige, erstaunliche, wunderbare, unbeschreibliche Dinge.
Zeit für mich, einmal kurz inne zu halten, das Jahr Revue passieren zu lassen und zu einem einzig logischen Schluß zu kommen: ich bin eine schlechte Mutter.
Ja, das ist so. 
Warum? Nun ja, wenn ich mir all die zahllosen Kommentare, Postings, unterschwellig angebrachte Kritik oder auch offen ausgesprochene Meinungen zu unserem Leben zu Herzen und damit ganz ernst nehme, ja, dann bleibt kein anderer Schluß als der, dass ich eine schlechte Mutter bin.
Warum nicht schlechte Eltern?
Nun, ihr müsst wissen, als Mama hat man eine ganz spezielle Rolle über. Als Vater ist man da ein bißchen außen vor. Da bekommt man Schulterklopfer und ein "Toll, dass du das alles machst" wenn du einmal Windel wechselst und/oder Wäsche wascht. Das ist als Frau und Mutter ja quasi Grundvoraussetzung.
Wenn dein Kind mit einem Jahr in die Kindergruppe eingewöhnt wird sagt keiner: "Ach, weil ihr beide arbeitet."
Nein.
Stattdessen: "Ach, ja, die Mutter, die wollte unbedingt wieder arbeiten. Jaja, in der heutigen Zeit, da darf man ja nicht einmal mehr ein paar Jährchen beim Kind bleiben, eine Schande ist das."
Auch so ein Klassiker: die Schuld hat, egal wie man es dreht und wendet, am Ende immer die Mutter.
Alle "Profis" (=Menschen mit Kindern) wissen: ein Lebensjahr, manchmal sogar ein Lebensmonat eines Kindes ist von Phasen geprägt. Einmal bleibt er/sie ganz ruhig liegen beim Wickeln, fast schon veträumt, einmal kann man ihn/sie nicht einmal mehr wirklich ausziehen weil das kleine Energiebündel einfach wichtigeres zu tun hat als die bis zum Rand vollgeschissene Windel entfernt zu bekommen. "Keine Zeit Mama". Hach, wenn sie doch mit einem Jahr schon volle Sätze sagen könnten.....
Jedenfalls. Phasen.
Unserer wechselt sich ab in Mama- und Papaphasen. Einmal ist Papa das einzige was Kind braucht, einmal Mama. Wir als Eltern sehen das mittlerweile ziemlich gelassen. So ist das halt. Nach einer mehrwöchigen "Nur-Papa" Phase folgte bislang immer eine mehrwöchige "Nur-Mama" Phase. Dazwischen manchmal sogar eine "ihr-seid-eh-beide-gleich-wichtig" Phase.
Das man sich als Eltern damit arrangiert heißt aber nicht, dass die Umwelt das auch tut. Im Gegenteil. Jede Phase wurde und wird genau unter die Lupe genommen, analysiert und dann ausgewertet. Ergebnis: dreimal dürft ihr raten.
Ja richtig! Man ist eine schlechte Mutter.
Zitat: "Naja, eh klar dass er gerade so an der Mama hängt. Was man so selten hat, das will man halt dann die ganze Zeit wenn es endlich mal da ist."
Zitat drei Monate davor, Papa-Phase: "Naja, eh klar dass er so am Papa hängt. Die Mama ist ja nie daheim."
Man sieht: als arbeitende Frau und Mutter hat man immer die Arschkarte.
Da nutzen auch nett gemeinte Ratschläge des Ehegatten "Ach komm, die wissen es halt nicht besser" (mit einem süffisanten Grinser untermalt, da er ja wieder mal der Held ist) nichts. Ehestreit ist in diesem Kommentar-Paket übrigens gratis mit dabei.

Ich liebe ja meine beste Freundin für ihre immer wieder passenden Kommentare in Anwesenheit diverser Familienmitglieder, für welche die Tatsache, dass Mama arbeiten geht ja eigentlich für eine schwere Sinnkrise sorgt und gänzlich unverständlich ist.
Zitat auf den Kommentar, dass 1-jähriges Kind von uns noch keinen Zucker bekommt und die damit einhergehende Unverständnis sämtlicher anwesender Omas:
"Naja, dass du eine schlechte Mutter ist wissen wir ja eh schon lange. **Augenzwinkern** ".
Die Stille am Tisch hätte man aufnehmen müssen. Genial. Unbezahlbar.
Sogar meinem Mann kam ein Grinser aus.

Aber das schlechte-Mama-Sein beginnt ja schon bei der Geburt.
Ich habe ja leider die Angewohnheit, sehr direkt, offen und ehrlich über solch einschneidene Erlebnisse wie eben eine Geburt zu sprechen. Zwar nur nach Aufforderung (ganz ehrlich, vor allen unter kinderlosen Freunden gibt es einfach viel bessere Geschichten), aber trotzdem. Spätestens seit dem letzten ehrlichen Bericht weiß ich: Ehrlichkeit kommt nicht gut an.
Und nein, es ging nicht um Schmerzen, Dammschnitte, Schreie, Blut oder sonstige Späße. Die simple Herausforderung war es, auf die Feststellung: "Hast dich auch ein solches Freuden- und Glücksgefühl durchströmt, als sie dir das Baby dann auf den Bauch gelegt haben?"
Die erwartete Antwort war offenbar:
"Ja, ich hab mich gar nicht eingekriegt vor lauter Glückshormonen und habe in diesem Moment endlich meine Bestimmung gefunden: Mutter zu sein, mein Kind zu nähren und nie wieder etwas anderes zu tun."
Die Wahrheit ist, und somit auch meine Antwort:
"Nein. Ich kann mich erinnern, dass mein Mann in Tränen ausgebrochen ist und ich, eigentlich untypisch unsensibel kommentierte: du weinst ja. "
Der war daraufhin empört und schluchzte vor Glück vor sich hin, während ich meinen Sohn auf meiner Brust liegen hatte und mir eigentlich gar nix dachte. Außer: wie geht das jetzt weiter? Werde ich genäht, wenn ja, wie, mit Narkose, ohne, wie lange muss ich noch hier liegen, eigentlich hab ich Hunger, und Durst, und will in ein richtiges Bett."
Ja, mit solchen Wahrheiten kann kaum einer umgehen. Die Welt erwartet ja quasi, dass man nach der Geburt vor lauter Freude zerspringt. Ich kann jetzt verstehen, dass Frauen die tatsächlich an einer postpartalen Depression leiden, sich nicht trauen, das jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen. Zu hoch ist der Druck, eine "echte Mama" zu sein, und die ist man in den Augen der Gesellschaft halt nur, wenn man vor Glück zerspringt.

Ich hatte keine solche Depression. Ich bin auch nicht eiskalt. Ich konnte nur noch nie etwas mit kleinen Babys anfangen, habe nie verstanden warum man in fremde Kinderwägen reinfasst mit den Worten "ach ist der/die süüüüüüüüüüüüüüß".
Ich liebe meinen Sohn. Seit der ersten Minute. Aber die Wahrheit ist, dass ich die ersten Monate nicht vor Glück zerplatzt bin.
Ich war müde, ich war geschafft, ich war glücklich und zu Tode traurig. Ich habe gelacht, geweint, geflucht, geschrien, alleine auf der Couch geschlafen, nachts in der Küche alleine am Küchenboden gehockt und geweint, und als ich nicht mehr wollte, abgestillt.
So war das.
Ich bin eine schlechte Mutter.

Vorgestern hatte ich meinen exklusiven Sohnemann-und-Mama-Nachmittag. Er spielte selig vor sich hin, lief umher, dazwischen murmelte er Singe vor sich hin, sah mich immer wieder an. Dann kam er auf mich zu umarmte mich, legte seinen Kopf auf meine Schulter und hielt für 5 Sekunden in dieser Position inne. Ich habe ihn ebenso umarmt, ihm einen Kuß auf den Kopf gegeben und geflüstert: "ich hab dich so unendlich lieb und bin so stolz auf dich."
Noch bevor der Satz zu Ende gesprochen war, war er schon wieder auf und davon mit seinen Spielsachen spielen oder die Katze jagen, ich weiß es nicht mehr genau.
Was ich allerdings weiß: mir liefen Tränen die Wange runter und mein Herz ging mir auf.
Diese Liebe ist nicht erklärbar.

Vielleicht haben das manche Mütter bereits bei der Geburt. Vielleicht nach ein paar Wochen, vielleicht erst nach ein paar Jahren.
Fest steht: wir sind alle anders, unsere Empfindungen, unsere Erlebnisse, unsere Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Und das ist gut so.

Und ich? Ich bin eine gute, nein, ich bin eine tolle Mutter.
Mein Sohn ist ein glücklicher kleiner Mann, der mit jedem Tag unabhängiger wird und seine Mama damit jeden Tag ein bißchen stolzer.
Ich möchte zum Abschluß einen ganz lieben Kollegen zitieren (war mit drei Kindern in Langzeitkarenz), der vor kurzem meinte:
"Also eigentlich kann man bei Kindern nicht viel falsch machen. Man muss sie einfach nur lieben, aber das tut man im Normalfall ja sowieso."

In diesem Sinn....


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